Im Oktober 2018 beauftragte die Stiftung Anerkennung und Hilfe eine Forschungsgruppe damit, Leid und Unrecht zu untersuchen, das Kinder in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Kinder- und Jugendpsychiatrie in West- und Ostdeutschland nach 1945 erfahren haben. Die Ergebnisse der Untersuchung auf Basis von schriftlichen Quellen und Zeitzeugenaussagen werden in diesem Band entlang von 17 Fallstudien vorgestellt.
Deutlich wird, dass adäquate Einrichtungen für Minderjährige mit psychischen Erkrankungen und/oder Behinderungen in beiden deutschen Staaten nur unzureichend vorhanden waren. Auch wurde der individuelle Förderbedarf von Kindern und Jugendlichen vernachlässigt. Ein defizitorientierter Blick auf die Minderjährigen mit geistigen Behinderungen und psychischen Erkrankungen verhinderte zu großen Teilen der Untersuchungszeiträume in beiden deutschen Staaten eine angemessene Förderung. Die Einrichtungslandschaft in Ost und West war bis in die 1970er Jahre durch dauerhafte Unterfinanzierung, Personalmangel, Raumnot, ausbleibende Sanierungen und Überbelegungen gekennzeichnet. Während sich für die BRD insgesamt eine Verbesserung dieser Verhältnisse im Kontext von Reformbemühungen ab den 1970er Jahren nachweisen lässt, blieben diese Mängel in der DDR im Prinzip bis mindestens 1990 bestehen. Pädagogisch begründete Zwangs- und Strafmaßnahmen sowie demütigende Erfahrungen gab es in allen untersuchen Einrichtungen - wenn auch in unterschiedlichen Ausmaß. Als leidvoll erlebte oder ungerechtfertigte medizinische bzw. therapeutische Maßnahmen lassen sich vor allem in Kinder- und Jugendpsychiatrien feststellen.
Die prekären Zustände in den Einrichtungen konnten die genannten Formen von Leid und Unrecht begünstigen, wenngleich die Bedingungen, unter denen das damalige betreuende und therapeutisch arbeitende Personal tätig war, niemanden von begangenen Unrechtstaten entlastet und das Leid der Betroffenen nicht rechtfertigen kann.